Als am 5. Juli 1884 die deutsche Flagge in Bagida, Togo gehisst wurde, war vermutlich den wenigsten bewusst, dass dieses Land in ein paar Jahren als die deutsche „Musterkolonie“ in Afrika bezeichnet werden würde. Im Vergleich zu anderen Kolonien, unternahmen die Kolonialherren in dem neu besetzten Land größere Anstrengungen im Bereich des Schul- und Gesundheitswesens, sowie im Handel und der Wirtschaft.
Nach dem Handelszentrum Lomé war es unter anderem die kleine Stadt Kpalimé, die sich aufgrund seiner Lage, den Waren und dem für die Deutschen angenehmen Klima, zu einem wichtigen Handels- und Marktort entwickelte.
Bis heute noch kann man in und um die Stadt herum die Ruinen der einstigen Kolonialherren aus Deutschland erkennen.
Ich war vor Ort und habe mich mit Hilfe der leicht vergilbten Anzeigetafeln, die neben den kolonialen Spuren auf Deutsch, Französisch und Ewe Informationen vermitteln, informiert.
Misahöhe
Nachdem in Lomé der Herrschaftssitz der deutschen Verwaltung mit einem Gouverneur an der Spitze gefestigt war, wurden die südlichen Regionen Togos in zehn Bezirke eingeteilt. Jeder dieser Bezirke enthielt jeweils eine Bezirksstation mit einem Bezirksvorsteher, welcher, entsandt von dem Gouverneur, in seinem Bezirk für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte.
Kpalimé war damals Zentrum des Bezirks „Missahohé“. Die dazugehörige Station „Misahöhe“, wurde 1890 in den Bergen von Kloto, ca. 18 km von Kpalimé entfernt, gegründet. Der Betreiber und damalige Gouverneur Togos Jesko von Puttkamer benannte sie nach seiner Jugendromanze Mária Esterházy de Galántha, dessen Spitzname Misa war.
Kolonialer Anspruch
Die Station war strategisch gut gelegen. Sie sicherte den Deutschen Zugang zu den zuvor schwer erreichbaren Gebieten in den Bergen und förderte somit den deutschen Handel. Doch vor allem die kolonialpolitische Bedeutung, die von dem Bau der Station ausging, schien den Deutschen von Vorteil zu sein. Misahöhe lag in einem damals umstrittenen Gebiet zwischen Großbritannien und Deutschland. Jetzt, wo die Deutschen eine Station am einzigen über die Togogebirgskette führenden Pass gebaut hatten, bekräftigten die Deutschen ihren kolonialen Anspruch.
Auf dem Gelände der Station wurden mehrere Gebäude wie Verwaltungsgebäude, Lagerräume, ein Wohnhaus für die Familie des Stationschefs und später auch ein Gefängnis gebaut. Selbst ein Friedhof ist heute noch zu besuchen. Er ist unter den Togoerinnen und Togoern noch als „cimetière des allemandes“ (Friedhof der Deutschen) gut bekannt. Auf ihm liegen die Stationsleiter mit ihren Familien unter Palmen begraben.
Nach 1900 entwickelte sich der Bezirk Misahöhe zu einem Standort gewinnbringender Exportwaren wie zum Beispiel Kakao. Auch die Missionsgesellschaften, unter anderem die Norddeutsche Mission, hatten sich in Kpalimé angesiedelt. Die Zahl der dort lebenden Europäer*innen stieg innerhalb von sechs Jahren von 53 im Jahr 1907 auf 84 Personen im Jahr 1913. Um ihre medizinische Versorgung zu verbessern, wurde 1907 ein Arzthaus errichtet. Es war das erste Gebäude, das von der deutschen Regierung im Landesinneren gebaut wurde, und ist bist heute das älteste noch stehende Krankenhaus in Togo. Wie so häufig überließen die Kolonialherrn den Bau des Hauses den Einheimischen, deren Arbeit als Steuerleistung galt.
Heute ist das Krankenhaus zu einer Krankenstation umgebaut, in der Vorsorgeuntersuchung gemacht werden.
Eisenbahnlinie
So richtig konnten die Deutschen ihre Machtposition in der Kolonie erst ab dem 20. Jahrhundert festigen. Die Grenzen um 1900 waren so festgelegt, dass ein Gebirgszug das Land in der Mitte durchtrennte. Die Handelswege zum Handelszentrum Lomé an der Küste war den Einheimischen dadurch um einiges erschwert. Sie führten nicht direkt zur Küste, sondern den Flüssen nach in die benachbarten britischen (heute Ghana) und französischen Kolonien (heute Bénin). Als Lösung für dieses Problem sahen die Kolonialherren den Bau von Eisenbahnlinien. Mit der Fertigstellung der ersten Eisenbahnlinie, der sogenannten „Kokosnussbahn“ zwischen Lomé und Aného, konnten die Waren schneller und bequemer zum Hafen gelangen.
Die Spuren der zweiten Bahn, der „Kaffee- und Kakaobahn“, sind in Kpalimé noch gut zu erkennen. Feierlich eröffnet wurde die 119 km lange Bahnstrecke am 27. Januar 1907 zum Geburtstag Kaiser Wilhelms II.. Auch sie sollte den Handelsweg von Kpalimé nach Lomé für Agrargüter vereinfachen wie Kakao, Ölpalmen und Kaffee, die in der Region in großen Mengen geerntet wurden. Auch einige Waggons für den Personenverkehr kamen zum Einsatz. Am Ende der deutschen Kolonialzeit gab es in Togo insgesamt eine Schienenstrecke von 327 km.
Mit der Mandatsübernahme der Franzosen nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg waren auch die Bahnlinien in Togo in französischen Händen. Da diese für sich keinen Vorteil in der Investition der Bahnen sahen, blieb der Geldhahn für nötige Sicherheitsmaßnahmen und Erneuerungen zu, und die Bahn wurde sich selbst und den Togolesen überlassen. „Sie fuhren bis es sicherheitstechnisch und mechanisch nicht mehr möglich war“, sagte mir Kudzo Agbenu Alotsi. Offiziell sind die Bahnen seit 1990 stillgelegt. Übrig bleiben die Schienen, die vereinzelt noch aus dem Boden ragen.
Ausbeutung
Der Historiker versuchte, mir am Beispiel der Bahnlinien zu erklären, warum seiner Meinung nach viele Togoerinnen und Togoer heute überschwänglich positiv über die deutsche Kolonialzeit reden und eher negativ über die französische.
Sicher, jede Art von Kolonialismus bedeute Ausbeutung und sei schlichtweg nicht schön zu reden, meinte er. So sei es wichtig zu bedenken, dass bei jeder Umsetzung der oben genannten Pläne der Deutschen, Einheimische unter unmenschlichen Bedingungen, häufig ohne Lohn zur Arbeit gezwungen wurden.
Doch vergleiche man die zwei europäischen Kolonialmächte, die das Land und seine Bewohner*innen insgesamt über 76 Jahre lang besetzten, so habe die eine deutlich mehr nachhaltige und innovative Entwicklungen (wie die Bahnlinien) in das Land gebracht als die andere. Wenn auch natürlich nicht auf Augenhöhe, sei es mit den Deutschen mehr ein Austausch zwischen den Einheimischen und der Kolonialherrschaft gewesen. Die Franzosen hingegen seien mehr auf das Nehmen aus gewesen und nur wenig – soweit sich die Togoer heute noch erinnern können – sei zurück gekommen. Dadurch, dass die Deutschen zu ihren eigenen Gunsten darauf bedacht waren, großen Aufwand in die Wirtschaft und somit auch die Infrastruktur des Landes zu legen, profitierten auch die Einheimischen von dem Prinzip „Musterkolonie-Togo“.
Umso wichtiger ist es meiner Meinung nach, dass neben den noch sichtbaren Spuren der Deutschen heute Hinweis-Tafeln in drei verschiedenen Sprachen Passanten informieren. So werden einem auch die Schattenseiten, die der Kolonialismus mit sich bringt, wieder ins Gedächtnis gerufen. Ganz egal, wer diese Kolonialisten waren.